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Zeitungsartikel
Go-Spieler nehmen einander in die Teufelszange Jede Woche öffnen sich die TigerrachenUnd die Mausefallen schnappen zu / Ein faszinierendes Spiel für Tüftler
Während Kreuzworträtsellöser längst wissen, dass Go ein japanisches Brettspiel ist, halten es manche Hannoveraner mitunter noch für eine seltsame, irgendwie von Rasenmäherbesitzern betriebene Form des Rennsports. Go wird hier nämlich im Rasensportverein Hannover von 1926 ausgeübt. Der Rasensportverein wiederum ist in Wirklichkeit ein Klub der sportlichen Eisenbahner und führt seinen Namen hauptsächlich deshalb, weil er früher Reichsbahnsportverein hieß und seine Abkürzung gern in die Nachkriegszeit herüberretten wollte, und Go findet also ganz folgerichtig im Kasino der Bundesbahndirektion statt. Jeden Montag Abend treffen sich dort die Spieler. Und zwar seit nicht weniger als siebzehneinhalb Jahren, ohne jemals die Lust zu verlieren und sich einem anderen Spiel, etwa Mühle oder Dame, zuzuwenden. Das Auslegen der weißen und schwarzen Sterne zu komplizierten, am Ende an Opart-Bilder erinnernden Mustern auf gekästelten Brettern scheint eine Faszination auszuüben, die von nichts übertroffen werden kann. "Die einzige Anfechtung, die ich je hatte, war Bridge", gesteht der 43jährige Diplomphysiker Winfried Dörholt, der schon als Student in Braunschweig Go zu spielen begann. Inzwischen ist er nicht nur Spielleiter der hannoverschen Abteilung, sondern auch Leiter des niedersächsischen Verbandes und Vize des deutschen Bundes, neuerdings auch Autor eines Anleitungsbuches über Go. Was auf dessen hundert Seiten steht, kann ein Neugieriger auch im Bundesbahnkasino erfahren, wenn er montags um sieben bei den Go-Spielern erscheint. Dass die Steine abwechselnd auf die 361 Schnittpunkte der Linien gelegt werden. Dass es gilt, selber Gebiete einzugrenzen und die Gebietsnahme des Gegners zu verhindern. Dass Gefangene gemacht werden können. Und so weiter bis in alle Unendlichkeit. Die Möglichkeiten, eine Partie zu Ende zu bringen, sind jedenfalls unvorstellbar zahlreich. "Es ist eine Zahl mit siebenhundertachtundsechzig Nullen", sagt Dörholt. "Alle denkbaren Kombinationen, beim Schach zum Beispiel, ergeben nur rund ein Sechstel dieser Summe." Selbst wenn sich die gesamte heutige Bevölkerung einige Millionen Jahre lang ans Go-Brett setzte, würde sie nicht einmal einen unnennbar winzigen Bruchteil aller Möglichkeiten ausschöpfen können. In Hannover versuchen es (oder versuchen es gleich gar nicht) zur Zeit die 55 Mitglieder der Go-Abteilung, die von dem ehemaligen Bundesbahnbeamten Helmut Buttstädt geleitet wird, und es ist sogar ein japanischer Professor darunter. Andere sind Juristen, Mediziner, viele auch Studenten meist naturwissenschaftlicher Fächer. "Go ist etwas für Tüftler", gibt Dörholt zu, der aber rund zehn Prozent der Menschheit dafür geeignet hält: ",Also fünfzigtausend Hannoveraner." Den Göttern aller Go-Spieler, den japanischen Berufsmeistern, könne freilich kein Europäer je das Wasser reichen, doch außer der Befriedigung des Ehrgeizes und der Schulung des logischen Denkens springe ja auch noch etwas anderes heraus: Spaß. "Am ehesten wird ein neuer Spieler dadurch gewonnen, dass er einfach mal eine Weile zusieht", wirft ein anderes Mitglied ein, und tatsächlich zieht das Spielgeschehen den Laien bald in seinen Bann. Still, mit Mittel- und Zeigefinder in die Dosen greifend, setzen die Spieler ihre Steine, bauen "Krähennester", öffnen "Tigerrachen", nehmen einander in die "Teufelszange" oder bestücken auch die "Mausefalle" mit "Speck", will sagen, mit einem die Begehrlichkeit des anderen weckenden Stein zuletzt bildet alles Weiße und Schwarze auf dem Brett ein neues Muster von Ketten, das nach einer einfachen Auszählung der Punkte aufgelöst wird. Und die runden, knopfartigen Steine wandern zurück in die Holzdosen, und der Verein sammelt seine Bretter wieder ein, bis zum nächsten Montag. Übrigens sind die Steine aus Porzellan, und sie kommen direkt aus Japan. "Wir importieren sie tonnenweise", sagt Dörholt und fügt, als er einen erschrockenen Blick auffängt, rasch hinzu: "Na, nicht wir Hannoveraner allein, sondern der ganze deutsche Go-Bund. Und auch nur, weil bei einer vollen Tonne die Fracht billiger wird." Pa. |